Während das Land besorgt die Entwicklung der Virus-Pandemie verfolgt und sich auf drastische Einschränkungen einstellt, verbessert der Umweltminister die Chancen zur Errichtung von Windenergieanlagen, indem er die Schutzwürdigkeit des Milans herabstuft. So erfreulich es ist, wenn sich eine gefährdete Art infolge bisheriger Schutzmaßnahmen erholen konnte, diese Entscheidung hat einen unangenehmen Beigeschmack.
Wer Diskussionen zwischen betroffenen Bürgern und den Forderungen der Windindustrie miterlebt hat, weiß, dass nicht allein die Sorge um den Milan-Bestand zu Auseinandersetzungen geführt hat. Immer mehr Bürger wehren sich gegen die Aufstellung der riesigen Windanlagen im Wald und in Schwachwindgebieten, da aber wirksame Abstandsregeln zum Schutz des Menschen fehlen (mit Ausnahme von Bayern) klammern sich viele Betroffene an die Schutzwirkung von Milan-Habitaten. Diesen "Notnagel" hat unser Bundesland nun gezogen.
Ob die Milan-Bestände stabil genug sind, um neue Windanlagen zu ertragen, wird hoffentlich weiter verfolgt. Zuerst muss es aber um die Gefährdung des Menschen gehen, die seit langem ignoriert wird. Viele in der Umgebung von Windenergieanlagen lebende Bürger zahlen mit ihrer Gesundheit für diesen fragwürdigen Teil der Energiewende und haben dies im sturmreichen Februar wieder besonders schmerzhaft erfahren. Sie leiden unter dem Infraschall-Syndrom, das von hochgradigem Schlafmangel über Angst- und Erschöpfungszustände bis zu Störungen der Herzfunktionen reicht. Nach Schätzungen deutscher Praxisärzte, die auf ihren Patienten-Daten beruhen, muss derzeit mit mindestens 180 000 Erkrankten gerechnet werden (Dr. Kaula, Deutsche Schutzgemeinschaft Schall).
Angesichts neuer gesundheitlicher Belastungen wie durch die aktuelle Pandemie muss die Frage erlaubt sein, ob Windenergieanlagen mit ihren bekannten Gesundheitsrisiken weiter in die Mittelgebirgsregionen "hineingedrückt" werden sollten. Bei der Siedlungsstruktur in den ländlichen Bereichen Baden-Württembergs muss der geplante Ausbau der Windenergie mit der Gefährdung von vielen Tausend Menschen bezahlt werden.
Der marginale Beitrag zur Energiewende wiegt dieses Opfer nicht auf: trotz der Orkane in den letzten Jahren und Monaten schafft Windstrom nicht einmal 5 % unseres Endenergieverbrauchs, in Baden-Württemberg wesentlich weniger. Damit ist ein Hauptproblem noch gar nicht abgebildet: mehrtägige Dunkelflauten, die nur minimalen Wind- und Sonnenstrom erlauben, kommen laut langjähriger Statistik etwa 7 mal pro Jahr vor (R. Lenkert, Beirat Bundesnetzagentur, in: Ostthüringer Zeitung 27.2.2020). Dann braucht es allerdings die volle Leistung der konventionellen, CO2 emittierenden Kraftwerke, denn nur auf dem Papier kann man Wind-Flauten mit Stürmen verrechnen ...
Der Schutz der menschlichen Gesundheit ist ein Verfassungsauftrag und darf nicht hinter dem Naturschutz zurückstehen. Beiden Anliegen dienen wir am besten, wenn wir eine wirksamere Energiewende mit geringerer Gefährdung von Mensch und Natur anstreben. Anstatt weiter auf die ineffiziente und gefährliche Windenergie zu setzen, müssen bekannte, aussichtsreiche Alternativen und Zukunftswege beschritten werden. Vielleicht kann uns die Korona-Krise helfen, umzudenken und unsere Kräfte auf Notwendiges und Sinnvolles zu fokussieren.
Prof. Dr. Werner Roos
18. 3. 2020