Leserbriefe

Februar 2021


Strom: Fakten statt Ideologie
 Von Prof. Dr. Werner Roos, Titisee-Neustadt

Die Covid19-Krise bürdet uns große Lasten auf, kann uns aber auch helfen, We­sent­liches und Unverzichtbares zu erkennen und in den Vordergrund unseres Handelns zu rücken. Dazu gehört auch unsere Stromversorgung, die wir nach zählbaren Fakten ausrichten müssen, weil sie für alle und alles unverzichtbar ist.

Nach Jahrzehnten intensiver Förderung des Windstroms und der Investition von mehreren hundert Milliarden € wäre es Zeit für eine sachliche Bilanz. 31 000 Windanlagen haben enorme Strommengen ins Netz eingespeist, an Sturmtagen über die Hälfte des Bedarfs. Leider war dieser Aufwand oft nutzlos, weil Strom im Augenblick des Verbrauchs erzeugt werden muss. Es ist irreführend, die Einspei­sungen über Tage, Wochen, Monate... zu addieren und als ökologischen Fort­schritt in der Stromversorgung zu werten. In der Realität werden sie von vielen großen und noch mehr kleinen Flauten unterbrochen, die aus konventionellen Kraftwerken gefüllt werden müssen. Letztere stellen - trotz aller Investition in die Erneuerbaren - unsere Stromversorgung sicher, vor allem wegen ihrer Verläss­lichkeit. Photovoltaik ist in unseren Breiten kein ausreichender Lückenfüller. Sogar der gleichzeitige Ausfall von Windstrom und Photovoltaik ("Dunkelflaute") ist nicht selten: die Auswertung von 5 deutschen Wetterstationen über mehrere Jahrzehnte ergab pro Jahr durchschnittlich 7 Dunkelflauten von 2 bis 4 Tagen und 4 Dunkelflauten von 4 bis 7 Tagen (Bundesnetzagentur und MdB R. Lenkert, Ost­thüringer Zeitung, 27.2. 2020). Für Windstrom gibt es keine wirtschaftlich solide Perspektive: es fehlt nicht am politischen Druck, nicht an den finanziellen Opfern der Bürger, nicht an hoher Ingenieurskunst - es fehlt am Wind.

Ungeachtet dieser negativen Bilanz drängen Windstrom-Lobby und EEG-Politiker zum Weitermachen. Bis 2030 könne doppelt soviel Windstrom entstehen wie heute, vor allem durch repowering: wenn große Anlagen die kleinen und schwä­cheren ersetzen, entsteht mehr Windstrom auf den ohnehin schon belasteten Standorten. Was plausibel klingt, ist wieder eine Rechnung ohne den gesunden Menschenverstand. Bei Flaute gibt es keinen Windstrom, mögen die Anlagen noch so groß oder zahlreich sein. Mehr und größere Anlagen liefern höhere "Windstromberge", aber auch tiefere "Täler". Auch die Überschüsse führen zur erheblichen Vernichtung von Volksvermögen, über Netzkosten, Preisverfall etc.

Speichertechnologien sind keine wirtschaftlich darstellbare Allternative zum Ausgleich der enormen Schwankungen des "Zappelstroms". Während dies für Pumpspeicher und Batterieanlagen inzwischen offenkundig ist, wird noch immer Wasserstoff als Stromspeicher der Zukunft gehandelt: Windstrom-Überschüsse werden über die Elektrolyse von Wasser in Wasserstoff verwandelt, dieser zu Methan (Erdgas) umgesetzt, welches im Gaskraftwerk zur Stromerzeugung dient. Aus chemischen und physikalischen Gründen gehen auf diesem Weg etwa 75 % der eingesetzten Elektroenergie verloren. Methan aus Windstrom kostet ein Vielfaches von natürlichem Erdgas. Windstrom-Überschüsse und die Prozess­wärme aus der Methanisierung sind nur scheinbar kostenlos, weil sie nicht plan­bar anfallen. (Wasserstoff ist ein wertvolles Produkt für die chemische Industrie, z.B. für synthetische Kraftstoffe oder im Hüttenwesen, wenn er nicht mit teurem Strom hergestellt wird. An besseren Alternativen wird gearbeitet, z.B. an der künstlichen Photosysnthese.)


Was repowering in der Realität bedeuten kann, zeigt ein aktuelles Bild eines Windparks in der Nähe von Erfurt: eine neue Riesen-Anlage (rechts) entstand außerhalb eines alten Wind­parks. Das neue EEG erlaubt, dass "ausgeförderte" (über 20 Jahre alte) Anlagen häufig weiterlaufen. Die Neuanlage braucht aus strömungstechnischen Gründen wesentlich größere Abstände als die alten. Ergebnis: ein stark erwei­terter Flächen­verbrauch, mit allen Konsequenzen für die Umwelt.

Viele Anwohner von Windparks bemerken das repowering am Auftreten oder der Verschlechterung gesundheitlicher Beschwerden. Windräder senden Druckimpul­se aus, wenn die Flügel den Mast passieren. Die Frequenz (Häufigkeit) dieser Im­pul­se liegt im Infraschall-Bereich und wird von der Drehzahl bestimmt. Die neuen Rotoren haben erheblich größere Flügeln und drehen sich langsamer. Sie erzeu­gen deshalb Impulse mit höherem Schalldruck und kleinerer Frequenz. Beides verstärkt die Risiken für gesundheitliche Schäden, wie sie von Anwohnern seit Jahren beklagt werden: hochgradige Schlafstörungen, die über Schwindelanfälle, Angststörungen etc. zu schwerwiegenden Herz- und Kreislauf-Erkrankungen füh­ren.

Ist Windstrom diese Opfer wert? Eine Technologie, die ein zentrales Wirtschafts­gut von den Launen des Windes abhängig macht und ein erhebliches Gesund­heits­ri­siko schafft, kann nicht als Zugpferd einer notwendigen Energiewende wirken, eher als Klotz an ihrem Bein. Das gilt auch für die Ökobilanz: 31 000 deut­sche Windanlagen können das CO2 der Atmosphäre um höchstens ein Pro­mille absenken, schüren aber viele Konflikte: zwischen Produzenten auf dem Land und Verbrauchern in der Stadt, zwischen Gutgläubigen und Nachdenklichen, zwischen Älteren und Jüngeren, zwischen Symbolpolitikern und Fachleuten. Bürger als Wind­kraft-Gegner und -Befürworter gegeneinander auszuspielen, ist weder not­wen­dig noch hilfreich. Eine verlässliche Stromversorgung liegt im gemeinsamen Interesse. Sie ist nur im Einklang mit Mensch und Natur zu errei­chen.

Groß ist auch die Gefahr, dass die einseitige Fokussierung auf Windstrom die dringende Orientierung auf bessere Alternativen behindert. Diese gibt es durch­aus, wie eine weltweite Diskussion zeigt. Allein die intelligente Energieanwendung in Haushalten und Industrie birgt ein enormes Einsparpotential, wenn die Digita­lisierung konsequent dafür genutzt wird. Kernkraft-Ingenieure schlagen neue Reaktortypen vor, welche die einzigartige Energiedichte des Atomkerns besser ausnutzen und ein sehr viel höheres Sicherheitsniveau ermöglichen.

Fazit:
Energieversorgung ist für eine moderne Industriegesellschaft zu wichtig, als sie in politisch motivierte Konzepte einzubinden und diese durch ambitionierte Welterklärer zu propagieren. Die besten Fachleute sollten beauftragt werden, die traditionell hohe Qualität unseres Stromnetzes mit den effizientesten Ener­gie­er­zeugern zu verbinden, die in naher Zukunft erreichbar sind. Die wesent­lichen Fakten müssen klar aufbereitet und weithin verständlich gemacht wer­den. Hier liegt auch eine Aufgabe von Medien wie der Badischen Zeitung.

Februar 2021


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